Sonntag, 6. März 2016

F32.1 oder Wer kennt Tobi Katze?

Wer schon einmal bei einem Arzt war und eine Krankschreibung benötigte, der wird sie kennen, diese kryptischen Abkürzungen auf Arztbriefen und dem gelben Zettel, die aus Buchstaben und Ziffern bestehen. Der magische ICD 10 Code, der Code für "Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme". Jeder, der also schon mal eine Erkältung oder einen gebrochenen Arm hatte, kann durch die Abfolge von Buchstaben und Ziffern in eine Schublade gesteckt werden. Schubladendenken ist (eigentlich, was ja bekanntlich kein Wort ist) ziemlich doof. Für die Abrechnung und Einschätzung eines Patienten, auch in meiner Arbeitswelt aber nicht ganz unerheblich.

Die Grippe-Schublade oder Gebrochener-Arm-Schublade finde ich persönlich noch nicht so schlimm. Es ist etwas vorübergehendes, nicht "selbst kurierbares", in der Gesellschaft toleriertes, und somit nicht stigmatisiertes.
Das ändert sich bereits mit Krebs-Schublade. Auch diese ist in den wenigsten Fällen selbst verschuldet, außer vielleicht durch eine ungesunde Lebensweise, in welcher Art auch immer.
In diese kann man mich Gott sei Dank nicht "hineincodieren", und da bin ich auch wirklich sehr froh drum! Allerdings durfte ich bereits Erfahrung als Angehöriger von Personen in solchen Schubladen machen...Großmutter, Vater, eine sehr gute Freundin, 2 Großcousinen, sowie eine angeheiratete Cousine sind von diesem Schicksal betroffen gewesen. Wirklich keinem wünscht man diese Krankheit, die einher mit Existenz-/Todesängsten geht, über OPs und Chemo- und Strahlentherapien. Für die Patienten ist nicht nur die Krankheit an sich schwer zu begreifen und die Therapien durchzuhalten, sondern auch die körperlichen Veränderungen, die fast zwangsläufig damit auf einen zu kommen. Für die meisten sichtbar ist der Verlust der Haare. Nichts wirklich lebensnotwendiges, aber äußerlich doch schnell sichtbares. Mitleidig werden Krebspatienten oft angeschaut, weil man ihnen ihre Krankheit einfach (oftmals, glücklicherweise nicht immer!) durch die körperliche Veränderungen ansieht. Mitleid ist, egal in welcher Schublade man gerade festhängt, wirklich eine doofes Gefühl. Hier möchte ich jedoch ganz klar von Mitgefühl abgrenzen. Mitleid hat so etwas von...priviligiert sein des Anderen,priviligiert fühlen des anderen und (offensichtliches) widerspiegeln des Ganzen.Ich kann es gar nicht genau beschreiben, was ich damit meine.

Warum ich das ganze über eine dunkelrote (Krebs-)Schublade schreibe, wo ich doch selbst in einer schwarzen Schublade unterwegs bin, die mal mit dem Namen F32.1 began und mittlerweile zwischen F32.1 und F32.0 schwankt, ist vermutlich darin begründet, dass man sich selbst mit dieser Art der Diagnose bisweilen die Existenz einer Erkrankung selbst abspricht...und aber auch abgesprochen bekommt.
An Tagen, wo es mir mal nicht so gut geht, denkt man auch schon mal: " Ach komm, stell dich nicht so an, die Welt soll doch so schön sein, es gibt  Leute, die sind wirklich krank! Du hast ein Dach über dem Kopf, du hast einen Job, kannst deinen Kühlschrank selbst füllen, also WARUM ZUM KUCKUCK stellst du dich so an?!?"
Andererseits ist dieses Thema auch gesellschaftlich (noch) nicht anerkannt: Man kann es nicht sehen, man kann es nicht wegmedikamentieren, wegoperieren, noch sonst irgendwie sichtbar "wegmachen". Da sich die Problematik im Kopf abspielt, muss auch da die Lösung hin, aber auch daher muss sie kommen. Und das, stellt sich Otto-Normal-Mensch doch wesentlich leichter vor.
Aussagen wie: "Ach, jeder hat doch mal nen schlechten Tag/eine schlechte Phase.", "Du musst einfach nur mehr rausgehen, mehr unter Leute!", "Mach doch einfach mal das, was dir Spaß macht, was du schon immer machen wolltest!" sind mit Sicherheit lieb gemeint (und das meine ich ehrlich, denn ich bin mir sehr bewusst, dass auch mein Umfeld nur möchte, dass es mir besser geht!), aber helfen mir nicht weiter und können bisweilen sogar kontraproduktiv wirken. 
Die wirkliche Problematik liegt in Denk-, Emotions- und Verhaltensmustern, die sich über Jahrzente eingeschliffen haben, deren man sich erstmal bewusst werden muss (und das dauert schon ewig) um dann zu versuchen, daran etwas zu ändern (dauert noch viel ewiger...und das ist für mich als Ungeduld in Person nicht einfach auszuhalten!).

Bisweilen knabbere ich immernoch an der Akzeptanz des Ganzen. Ich habe ihn jetzt einfach mal "Friedhorst" getauft...blöder Name für eine noch viel blödere Diagnose, die ich nicht haben will. Die sich aber leider nicht weg diskutieren lässt. Vielleicht fällt mir die Akzeptanz leichter, wenn ich Friedhorst als Teil meines Lebens akzeptiere...auch wenn ich nicht scharf drauf bin, zuviel Zeit mit ihm zu verbringen und er ziemlich nervt, aber doch irgendwie Gewohnheit ist.

Vielfach habe ich versucht, meinem Umfeld zu Erläutern, wie das ist, so einen Friedhorst zu haben und bin damit (gefühlt) ziemlich gescheitert. Für beide Seiten ein unbefriedigendes Gefühl!
Durch Zufall habe ich mir vor ein paar Tagen das Buch "Morgen ist leider auch noch ein Tag" von Tobi Katze gekauft und bin auf seinen (mittlerweile geschlossenen) Stern-Blog gestoßen. Chronologisch habe ich angefangen, diesen Blog zu lesen und schon die ersten Beiträge sprachen mir einfach aus der Seele.
Wer möchte, kann sich vor allem mal diesen Artikel durchlesen.

Bis auf diesen Blogartikel habe ich aber heute (zumindest tagsüber) für Friedhorst keine Zeit. Heute wird gewählt und eine liebe Kollegin besucht.

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